Tour de France: Die Geschichte der härtesten Radrundfahrt der Welt

Tour de France: Die Geschichte der härtesten Radrundfahrt der Welt
Tour de France: Die Geschichte der härtesten Radrundfahrt der Welt
 
Durch den Sieg von Jan Ullrich rückte die Tour de France spätestens seit 1997 in das Zentrum des Interesses der deutschen Öffentlichkeit. Seit 1903 schreibt die »Tour der Leiden« immer wieder Geschichte im Kampf der »Giganten der Landstraße«. Allerdings zeigten die letzten Frankreichrundfahrten von 1998/99 auch, dass der Radsport die Dopingproblematik unter Kontrolle bekommen muss, will er nicht die Glaubwürdigkeit der ganzen Sportart und damit auch die der Tour de France zerstören.
 
 Geschichte der Tour de France
 
Die Tour de France wurde erstmals 1903 ausgetragen und wird seitdem jährlich veranstaltet. Wegen der beiden Weltkriege fand zwischen 1915 und 1918 sowie zwischen 1940 und 1946 keine Tour statt. Die Streckenführung wechselt von Jahr zu Jahr. Normalerweise beträgt die Gesamtlänge heutzutage zwischen 3 500 und 4 000 km, aufgeteilt auf 20—23 Etappen. 1903 und 1904 betrug die Gesamtlänge der Tour de France jeweils 2 428 km. Sie wurden in sechs Tagesetappen mit einer Länge von je etwa 404 km zurückgelegt. 1911 gab es bereits 15 Etappen bei einer Gesamtlänge von 5 343 km. 1971 wurde die Tour dann auf heutige Maßstäbe hin geändert mit 20—23 Etappen, die im Schnitt nicht länger als 200 km, längstens aber 260 km sein dürfen. Die erste Alpenetappe wurde schon 1905 gefahren über den Pass des Col Bayard (1 246 m hoch). 1910 ging es zum ersten Mal in die Pyrenäen, unter anderem über den Aspin (1 489 m hoch), den Aubisque (1 709 m) und den Tourmalet (2 115 m), die noch heute auf dem Programm der Tour stehen. Die Ausfallquoten waren anfangs sehr hoch. So erreichten 1913 von 140 Fahrern nur 25 das Ziel. Wenn man aber bedenkt, dass sie zu dieser Zeit noch völlig auf sich allein gestellt waren und es auch keine Gangschaltung gab, wird diese hohe Quote verständlich.
 
 Die wichtigsten Details
 
Seit 1954 werden auch die Nachbarländer in die Tour einbezogen. So war 1992 Koblenz Zielort für eine Tour-de-France-Etappe. Im Jahr 2000 war Freiburg im Breisgau Etappenziel. Für den Gesamtsieg der Tour entscheidend sind oft die Bergpassagen über die Alpen und die Pyrenäen. Seit 1967 wird ein kurzes Einzelzeitfahren als Prolog gefahren, damit es auf der ersten Etappe bereits einen Träger des gelben Trikots für den Führenden in der Gesamtwertung gibt. Mitentscheidend über den Gesamtsieg sind oft auch die Einzelzeitfahren, von denen meistens zwei pro Tour stattfinden. Zielort der Tour ist Paris, seit 1975 findet die Zielankunft regelmäßig auf den Champs-Élysées statt. Teilnahmeberechtigt sind Mannschaften, in der Regel Firmenrennställe, die sich über ihre Platzierung in der Weltcup-Wertung für die Tour qualifizieren. Die Tour-Direktion kann aber auch Wildcards vergeben und Teams unabhängig von der Platzierung einladen. Die einzelnen Teams bestehen aus jeweils neun Fahrern. Fast alle Teams haben einen Kapitän, das ist der Fahrer, der die größten Chancen auf den Gesamtsieg hat. Man erkennt ihn an der »1« als letzter Ziffer auf der Startnummer. Für ihn fährt die gesamte Mannschaft, indem sie versucht, so gut wie möglich die taktische Route für den Spitzenmann umzusetzen. So müssen die »Wasserträger« für ihren Kapitän bei Ausreißversuchen die Lücke zur Spitze zufahren, beim Spurt um den Etappensieg ihn in eine gute Position bringen, oder ihn in den Bergen auf den alles fordernden Steigungen begleiten, damit er dort möglichst wenig an Kraft verliert. Das Wort Wasserträger kommt daher, dass diese Fahrer auch die Aufgabe haben, die Verpflegung zu besorgen, also Getränke und Nahrung. Hat der Kapitän einen Materialdefekt, müssen sie ihm ihr Fahrrad zur Verfügung stellen. Ohne diese »Domestiken« hat kein Spitzenfahrer eine Chance, die Tour zu gewinnen. Sie werden deshalb am Erfolg des Kapitäns angemessen beteiligt. So ist es üblich, dass alle Prämien, ob für Etappensiege, den Gesamtsieg oder für die Erringung bestimmter Trikots, in die Mannschaftskasse kommen und durch die Anzahl der beteiligten Fahrer geteilt werden.
 
 Die Trikots und Wertungen
 
Das gelbe Trikot
 
Bei der Tour de France gibt es verschiedene Wertungen, deren Führende an einem bestimmten Trikot zu erkennen sind. Das berühmteste und wertvollste Trikot der Tour de France ist das gelbe Trikot. Es wurde 1919 eingeführt. Träger ist der Spitzenreiter in der Gesamtwertung. Sieger in Paris ist derjenige, der am wenigsten Zeit für die Bewältigung der gesamten Strecke benötigt hat. Alle Tagesabschnitte werden einzeln gewertet und in ihrem Resultat jeweils addiert. Ein Sieg bei einer Tagesetappe ist gut für das Prestige des Fahrers, er bringt ihm aber in der Gesamtwertung keinen Nutzen. Es werden allerdings hin und wieder Zeitgutschriften vergeben.
 
Das grüne Trikot
 
Seit 1953 gibt es eine Punktwertung für den schnellsten Sprinter bei Zwischensprints und Zieleinläufen. Nach einem sehr differenzierten System werden hier Punkte verteilt, je nachdem, ob es sich um eine Flachetappe, eine bergige, eine Bergetappe oder um ein Zeitfahren handelt. Der Deutsche Erik Zabel schaffte es als erster Fahrer bei der Tour de France, dieses Trikot vier Mal hintereinander (1996—99) zu gewinnen.
 
Das gepunktete Trikot (weiß mit roten Punkten)
 
Dieses Trikot trägt der Führende in der Bergwertung. Es wird seit 1933 vergeben. Die Berge, die bei der Rundfahrt zu bewältigen sind, werden in verschiedene Kategorien eingeteilt. Die höchste Kategorie ist die »Hors Categorie«, ihr folgen die Berge der 1., 2., 3. und der 4. Kategorie. Die Punkte werden je nach der Schwierigkeitsstufe des Berges, der gerade passiert wird, an die ersten Fahrer vergeben.
 
Der kämpferischste Fahrer
 
Diese Wertung ist relativ neu, sie wird von Tag zu Tag neu vergeben. Die Jury vergibt dabei Punkte an die Fahrer, die bei der jeweiligen Etappe besonders aktiv waren. Man erkennt den Führenden in dieser Wertung und den aktivsten Fahrer des Vortages an einer roten Startnummer.
 
Die Mannschaftswertung
 
Die Mannschaftswertung errechnet sich aus der Addition der Gesamtzeiten der jeweils drei bestplatzierten Fahrer einer Mannschaft. Dabei gibt es jeweils eine Tageswertung auf die Etappe bezogen und eine Gesamtwertung, die sich aus der Addition aller Tageswertungen der Fahrer ergibt.
 
 Unfälle
 
Immer wieder gab es Unfälle bei der Tour de France. In den knapp 100 Jahren sind bisher insgesamt vier Tote zu beklagen. Das erste Todesopfer war der Italiener Adolpho Hilieri. Er starb 1910 am Ruhetag bei einem Badeunfall in Nizza. 1935 kam der Spanier Francisco Cepeda ums Leben, als er bei der Abfahrt vom Galabier in eine Schlucht stürzte. 1967 starb der frühere Straßenweltmeister Tom Simpson aus Großbritannien. Am Aufstieg zum Mont Ventoux fuhr er plötzlich Schlangenlinien und stürzte dann vom Rad. Ein Hubschrauber brachte ihn ins Krankenhaus nach Avignon, wo er starb. Dort stellte sich heraus, dass Simpson gedopt gewesen war. 1995 kam der Olympiasieger Fabio Casartelli aus Italien ums Leben, als er bei der Abfahrt vom Col de Portet d'Aspet in einer Kurve stürzte und mit dem Kopf gegen einen Betonpfosten prallte. Er trug keinen Helm, was die Diskussion um eine Helmpflicht wieder anheizte. Gegen diese Pflicht hatten die Fahrer in früheren Jahren bereits gestreikt.
 
 Die Deutschen bei der Tour
 
Bis 1998 nahmen an der Tour de France insgesamt 128 deutsche Fahrer teil. Nur wenige haben sich in den Annalen der Tour verewigt. 1932 erreichte Kurt Stölpel als Zweiter der Gesamtwertung das Ziel in Paris. Nur neun Deutsche (Stand für alle Angaben: 1999) trugen bisher das gelbe Trikot. Am längsten gelang dies Rudi Altig, der es in acht Jahren insgesamt 18 Tage lang trug. Weitere hervorragende Platzierungen erreichten Hennes Junkermann (1960 als Vierter), Rolf Wolfsohl (1968 als Sechster) und Dietrich Thurau (1977 als Fünfter). Dabei fuhr Thurau 1977 15 Tage lang im gelben Trikot, womit er einen ersten Tour-Boom in Deutschland auslöste. 1987 lag Thurau bei der 10. Etappe auf dem zweiten Platz im Gesamtklassement, als er wegen Kniebeschwerden aufgab. Wenige Tage später stellte sich dann der wahre Grund heraus: Thurau war gedopt gewesen. 1985 war Thurau ebenfalls disqualifiziert worden, nachdem er einen Funktionär tätlich angegriffen hatte. Einen sehr erfolgreichen Einstand feierte 1990 der DDR-Olympiasieger von 1988, Olaf Ludwig. Er gewann eine Etappe und das grüne Trikot.
 
 Jan Ullrich stellte alles in den Schatten
 
Alles in den Schatten stellte dann ab 1996 Jan Ullrich. Er hatte die Sportschulausbildung der DDR durchlaufen und kam bei seinem Tour-Debüt auf einen sensationellen zweiten Platz, hinter seinem Mannschaftskameraden vom deutschen Team Telekom, dem Dänen Bjarne Riis. Im folgenden Jahr erreichte Ullrich dann etwas Einmaliges: Als erster Deutscher gewann er die Tour de France. 1998 kam er auf den zweiten Platz hinter dem Italiener Pantani, 1999 konnte er nach einer Sturzverletzung nicht teilnehmen. Bei der Tour 1999 trat dann endgültig Erik Zabel aus dem Schatten von Jan Ullrich. Er gewann zum vierten Mal in Folge das grüne Trikot des besten Sprinters, ein einmaliger Erfolg.
 
 1998/99 im Zeichen des Dopings
 
Die Rundfahrten 1998/99 standen allerdings unter keinem guten Stern. Die Tour de France von 1998 wird als Skandaltour in die Geschichtsbücher eingehen. Sie stand mehrmals kurz vor dem Abbruch. Es kam zu mehreren Durchsuchungen von Mannschaftshotels durch die französische Polizei, nachdem bei einem Betreuer des Teams Festina um die Fahrer Virenque, Zülle und Dufaux im Wagen »unerlaubte Substanzen« gefunden worden waren. Das Team wurde schließlich ausgeschlossen. Dem Radsport gelang es im folgenden Jahr nicht, seine Glaubwürdigkeit bei der Bekämpfung des Dopings wieder herzustellen. Im Mittelpunkt stand das Mittel EPO, das die Ausdauerfähigkeit erhöht — mit lebensgefährlichen Nebenwirkungen. Der 1998 ausgeschlossene Virenque ging auch 1999 an den Start der Tour, obwohl er von der Tour-Leitung zur unerwünschten Person erklärt worden war, und gewann das Trikot des Besten in der Bergwertung. Durch die unklare Haltung des Welt-Radsport-Verbandes machte sich allgemein eine große Unsicherheit breit. Immer wurden herausragende Leistungen gleich in die Nähe des Dopings gerückt. So geschah es auch mit dem Tour-Sieger von 1999, dem Amerikaner Lance Armstong. Der ehemalige Straßenweltmeister war vor wenigen Jahren an Krebs erkrankt, es hatten sich bereits Metastasen in seiner Lunge gebildet, seine Lage erschien aussichtslos. Armstrong gewann diesen Kampf auf Leben und Tod, kehrte in den Radsport zurück und siegte unangefochten bei der Tour de France 1999 — und musste sich in allen Interviews mit dem Verdacht auseinander setzen, dass diese unglaubliche Leistung im Zusammenhang mit besonderen Mitteln stehen könnte, die bei seiner Krebstherapie eingesetzt worden waren. Das macht deutlich, dass der Radsport das Dopingproblem lösen muss, indem er rückhaltlose Kontrollen einführt. Sonst können auch noch so große Erfolge etwa eines Jan Ullrich diese Disziplin und die berühmte Tour de France nicht retten.
 
Tour de France. Auf den Spuren eines Mythos. Fotos von
 
 
Hans Blickensdörfer: Tour de France. Mythos und Geschichte eines Radrennens. Lizenzausgabe Rheda-Wiedenbrück 1997.
 Robert Ichah: Les grands vainqueurs du Tour de France. Paris 1992.
 Hagen Boßdorf und Beate Boßdorf: 100 Highlights Tour de France. Momentaufnahmen 1903-1998. Berlin 1999.
 Harald Krämer: Das Tour de France Buch 1999. Reinbek 1999.

Universal-Lexikon. 2012.

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